Kuba steckt tief in einer seiner schwersten Krisen seit der Revolution 1959. Extreme Stromausfälle, der Zusammenbruch von Wirtschaftszweigen wie Zucker und Tourismus sowie eine dramatische Auswanderungswelle zeichnen ein Bild von systemischem Kollaps. Die Regierung kämpft mit wachsender Instabilität, während die Bevölkerung zwischen Resignation, Angst und möglichem Widerstand schwankt. Kuba steht an einer Wegscheide: droht der endgültige Verfall – oder gelingt noch ein gesellschaftlicher Wandel?
Kubas derzeitige Lage ist desaströs. Was sich auf der Karibikinsel abspielt, ist mehr als nur eine wirtschaftliche Flaute – es ist ein systemischer Kollaps, der das Land in eine seiner schwersten Krisen seit der Revolution von 1959 stürzt. Inmitten globaler Aufmerksamkeitsströme, die sich auf andere geopolitische Brennpunkte richten, gerät das kubanische Drama aus dem Fokus. Doch ein genauer Blick zeigt: Kuba steht möglicherweise an der Schwelle zu einem gesellschaftlichen Umbruch – oder einer noch tieferen Lähmung.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Durchschnittlich 18 Stunden am Tag ohne Strom, wie es selbst die Staatsführung einräumt, bedeuten nicht nur den faktischen Stillstand des öffentlichen Lebens, sondern auch eine existenzielle Bedrohung für die Bevölkerung. In einer tropischen Region, wo Ventilatoren und Kühlsysteme keine Annehmlichkeiten, sondern überlebensnotwendig sind, verwandeln sich diese Stromausfälle in tägliche Torturen. Präsident Miguel Díaz-Canel selbst sprach in einem selten offenen Moment von einer „fast paralysierten“ Wirtschaft. Eine Einschätzung, die viele Kubaner schon seit Monaten teilen. Die Regierung macht, wie gewohnt, das US-Embargo für die Misere verantwortlich. Doch internationale Experten sehen die Ursachen vor allem in der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Energieinfrastruktur, dem Mangel an Investitionen in erneuerbare Energien und dem Rückgang der Öllieferungen aus Venezuela und Russland. Diese strukturellen Defizite holen die Regierung nun mit voller Wucht ein. Die einst enge energiepolitische Partnerschaft mit Venezuela hat sich angesichts der dortigen Krise weitgehend erledigt, und auch Moskau liefert nur noch eingeschränkt. Gleichzeitig kollabiert der Tourismus – eine der letzten Devisenquellen der Insel. Wer will schon Urlaub in einem Land machen, in dem nachts die Lichter ausgehen? Die Zahl der ausländischen Besucher ist dramatisch eingebrochen: Allein im ersten Quartal 2025 sank sie um 30 Prozent. Schon zuvor war der Tourismus durch Pandemie, Proteste und politische Instabilität geschwächt. Die aktuelle Entwicklung könnte sich nun als fataler Wendepunkt erweisen. Ein weiteres Symbol für den Abstieg ist der Niedergang der Zuckerproduktion – einst das Rückgrat der kubanischen Wirtschaft. Statt Exportüberschüsse zu erwirtschaften, muss das Land inzwischen Zucker importieren. Für ein Land, das jahrzehntelang den globalen Zuckermarkt mitbestimmt hat, ist dies nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell ein Armutszeugnis. Und die Auswirkungen reichen weit: Die Rumproduktion, eine der wichtigsten Exporte des Landes, ist wegen der Zuckerknappheit ebenfalls bedroht. Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob die Bevölkerung erneut zu Protesten greifen wird – wie zuletzt im Sommer 2021, als Tausende Menschen landesweit auf die Straße gingen. Doch seitdem hat das Regime seine Repressionsmechanismen verschärft: Über 700 Demonstrierende wurden festgenommen, viele zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Furcht sitzt tief, der Wille zum Widerstand ist geschwächt. Doch nicht nur Angst hält die Menschen zurück – es fehlt auch schlicht an Protestierenden. Über eine Million Kubaner haben das Land seit 2020 verlassen, ein Zehntel der Bevölkerung. Die meisten von ihnen waren jung, energisch, unzufrieden. Sie fehlen heute als Katalysatoren für gesellschaftliche Veränderungen. Kuba ist zu einer Insel alter Menschen geworden, mit der ältesten Bevölkerung Lateinamerikas. Die Kombination aus Massenemigration und niedriger Geburtenrate hat die soziale Dynamik entscheidend verändert. Allerdings ist das keineswegs ein dauerhafter Stabilitätsfaktor für das Regime. Im Gegenteil: Die derzeitige Ausreisewelle war ein Sicherheitsventil, das den sozialen Druck reduzierte. Doch wenn neue Maßnahmen wie das von Donald Trump verhängte Einreiseverbot für Kubaner greifen, könnte auch dieser Fluchtweg verschlossen sein. Dann bleibt den Menschen nur noch der Rückzug ins Private – oder die Konfrontation. Der politische Führungszirkel des Landes wirkt dabei zunehmend fragil. Díaz-Canel fehlt es an Ausstrahlung, sein Führungsstil ist technokratisch und farblos. Der eigentliche Strippenzieher, Raúl Castro, ist inzwischen 94 Jahre alt. Sein nahendes Ende wirft die Frage auf, ob das Regime ohne seine Autorität zusammenhalten kann. Sollte die Führung zerfallen, könnte dies einen Katalysator für politische Erschütterungen darstellen. Kubas gegenwärtige Krise ist nicht einfach eine temporäre ökonomische Delle – sie ist ein multidimensionaler Systemkollaps. Wirtschaftlich, sozial, politisch – auf allen Ebenen zeigt sich ein Erschöpfungszustand, der an die Grenzen des Machbaren führt. Und während die Welt sich anderen Dramen zuwendet, könnte Kuba in naher Zukunft plötzlich wieder im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen. Als Beispiel für das Scheitern eines über Jahrzehnte starren Modells. Oder als Fallstudie eines späten, vielleicht zu späten Wandels.
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