Neues aus Kuba
Aktuelle Nachrichten und Meldungen, Analysen und Hintergrundinformationen
Ein drastischer Anstieg der Preise für mobiles Internet hat in Kuba eine Welle der Empörung ausgelöst – und erstmals auch Kritik aus regimetreuen Kreisen hervorgerufen. Die Maßnahme des staatlichen Anbieters ETECSA trifft eine Bevölkerung, deren Durchschnittslohn kaum ausreicht, um die neuen Tarife zu bezahlen.
Abbildung: ETECSA, Logotipo-etecsa-version-piramidal-, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Ein plötzlicher und drastischer Anstieg der Preise für mobiles Internet hat in Kuba eine Welle der Empörung ausgelöst. Besonders bemerkenswert: Erstmals äußerten sich auch Teile des offiziellen politischen Lagers kritisch gegenüber einer wirtschaftlichen Maßnahme der Regierung. Der Schritt gilt als jüngstes Glied in einer Reihe von einschneidenden Reformen, die unter dem Deckmantel eines „wirtschaftlichen Anpassungsplans“ seit Ende 2023 umgesetzt werden – und die vor allem für die kubanische Bevölkerung drastische Konsequenzen haben.
Am vergangenen Freitag (30.) hatte der staatliche Telekommunikationsanbieter ETECSA in einem knapp gehaltenen Kommuniqué neue Tarifbedingungen mit sofortiger Wirkung angekündigt. Die Neuerungen betreffen insbesondere sogenannte Datenaufladungen, also Zusatzpakete für mobiles Internet. Künftig ist deren Höhe auf monatlich 360 kubanische Pesos – umgerechnet rund drei US-Dollar – beschränkt. Wer mehr Datenvolumen nutzen will, muss tief in die Tasche greifen: Drei Gigabyte kosten ab sofort 3.360 Pesos (etwa 28 US-Dollar), 15 Gigabyte sogar 11.760 Pesos – das entspricht rund 98 US-Dollar. Zum Vergleich: Der durchschnittliche staatliche Monatslohn in Kuba beträgt laut offiziellen Angaben 5.839 Pesos, also knapp 49 US-Dollar. Damit übersteigt eine größere Datenaufladung nicht nur den durchschnittlichen Lohn, sondern macht mobiles Internet de facto zum Luxusgut – in einem Land, in dem Internet für viele Familien die einzige Möglichkeit ist, Kontakt zur im Ausland lebenden Verwandtschaft zu halten oder unabhängige Informationen zu erhalten. Offener Protest auch innerhalb des Systems Für Aufsehen sorgte nicht nur die Preissteigerung an sich, sondern auch die ungewöhnlich scharfe öffentliche Reaktion aus eigentlich regimetreuen Kreisen. Mehrere Sektionen der Föderation Universitärer Studenten (FEU), traditionell ein Rückgrat der Revolutionsjugend, bezeichneten die Preiserhöhung als „riesige Respektlosigkeit gegenüber dem kubanischen Volk“. Der staatliche Regionalzeitung Girón aus der Provinz Matanzas veröffentlichte am Samstag auf Facebook ein bemerkenswert offenes Editorial. Darin heißt es zwar, dass ETECSA „buchstäblich am Ertrinken“ sei und Maßnahmen „zwingend notwendig“ gewesen seien – gleichzeitig stellt der Beitrag die zentrale Frage, die derzeit überall auf der Insel diskutiert werde: „Musste es wirklich ein so abrupter Sprung sein?“ Auch regierungsnahe Analysten und Medien äußerten in seltener Offenheit Zweifel an der sozialpolitischen Verträglichkeit des sogenannten „Tarifazo“. Die Kritik entzündet sich vor allem daran, dass die Maßnahme für breite Teile der Bevölkerung nicht nur wirtschaftlich unzumutbar, sondern auch intransparent und ohne Vorwarnung erfolgt sei. Staatliche Rechtfertigungen: Währungsengpässe und Schuldenlast ETECSA selbst verteidigte die Entscheidung mit Verweis auf die wirtschaftliche Schieflage des Unternehmens. Präsidentin Tania Velázquez erklärte in einer Sondersendung des staatlichen Fernsehens, dass ETECSA „hoch verschuldet“ sei und die Deviseneinnahmen – vor allem durch Aufladungen aus dem Ausland – drastisch zurückgegangen seien. Schätzungen zufolge beträgt der Rückgang rund 60 Prozent. Velázquez betonte, dass der Schritt nicht aus dem Bauch heraus erfolgt sei, sondern Ergebnis „intensiver Analysen“ gewesen sei. Doch die wirtschaftliche Realität auf der Insel spricht eine andere Sprache: Die Einnahmen aus zwei der wichtigsten Devisenquellen Kubas – Tourismus und Überweisungen von im Ausland lebenden Familienangehörigen – sind weiter rückläufig. Um dringend benötigte harte Währung zur Finanzierung von Lebensmitteln, Treibstoff und Technologieimporten zu generieren, setzt die Regierung verstärkt auf eine faktische Dollarisierung ausgewählter Sektoren – darunter nun offenbar auch der Telekommunikationsbereich. Ministerpräsident Manuel Marrero hatte bereits im Dezember 2023 angekündigt, dass ETECSA durch den Umstieg vieler Nutzer auf den Peso als Zahlungsmittel erhebliche Einnahmenverluste in Devisen habe hinnehmen müssen. „ETECSA braucht aber Devisen, weil technologische Investitionen nötig sind“, erklärte Marrero damals vor der Nationalversammlung. Kommunikative Schadensbegrenzung von höchster Stelle Seit der offiziellen Bekanntgabe bemühen sich führende Regierungsvertreter um Schadensbegrenzung. In gleich zwei Sondersendungen im staatlichen Fernsehen versuchten Vertreter von ETECSA und des Kommunikationsministeriums, die Maßnahme zu rechtfertigen und ihre Notwendigkeit zu erläutern. Weitere Auftritte sind geplant. Auch Präsident Miguel Díaz-Canel meldete sich via X zu Wort. Er kündigte an, die Thematik in seinem wöchentlichen Podcast auf YouTube ausführlich zu behandeln. „Keine Maßnahme, die Vorteile einschränkt, gefällt uns. Es ist unsere Pflicht, jeden Schritt detailliert zu erklären, um den Angriffen der Blockade [gemeint sind die US-Sanktionen] zu entkommen“, so Díaz-Canel wörtlich. Dass der Präsident selbst das Thema aufgreift, unterstreicht die politische Brisanz der Maßnahme. Viele Beobachter sehen in der Kombination aus Preissteigerung, offener Kritik innerhalb der Staatsstrukturen und einer zunehmenden Dollarisierung einen weiteren Beleg für die prekäre wirtschaftliche Lage Kubas – und für das wachsende Unbehagen in Teilen der Gesellschaft, das längst auch offizielle Kanäle erreicht hat. Ein Weckruf für die Regierung – und ein Alarmsignal für die Bevölkerung Der sogenannte „Tarifazo“ beim mobilen Internet könnte sich für die kubanische Führung zu einer politischen Belastungsprobe entwickeln. Die ungewöhnlich breite und laute Kritik, auch aus staatlichen und regimetreuen Kreisen, offenbart einen tiefen Riss in der sonst so disziplinierten Kommunikationslinie des Einparteiensystems. Gleichzeitig verschärft sich die soziale Ungleichheit auf der Insel weiter: Wer Zugang zu Devisen hat – etwa durch Familienangehörige im Ausland – wird sich auch weiterhin mobiles Internet leisten können. Die große Mehrheit aber droht, weiter abgehängt zu werden. In einer digital zunehmend vernetzten Welt bedeutet das nicht nur Isolation, sondern auch einen herben Rückschlag für die ohnehin fragile gesellschaftliche Teilhabe der Kubanerinnen und Kubaner.
Quelle: EFE (https://t1p.de/0ly9p)
Anzeige (G2)
|
|
Letzte Meldungen
Text: Leon Latozke
Anzeige (G1)
(adsbygoogle = window.adsbygoogle || []).push({});
0 Kommentare
Ihr Kommentar wird veröffentlicht, sobald er genehmigt ist.
Antwort hinterlassen |
Dossiers
Mediathek
Anzeige (M2) Anzeige (G4) Archiv
nach Monaten
Juni 2025
|
Anzeige (G3) |