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Das kubanische Nationalballett, einst ein kulturelles Aushängeschild der Revolution, erlebt einen beispiellosen Exodus. Immer mehr Tänzerinnen und Tänzer verlassen die Insel, um im Ausland eine Zukunft zu suchen. Stromausfälle, Inflation und Versorgungsengpässe lassen selbst eine kulturelle Institution von Weltrang an ihre Grenzen stoßen – ein Spiegel der tiefen Krise Kubas.
07.10.2025 10:17 Uhr
Das kubanische Nationalballett gilt seit Jahrzehnten als Symbol kultureller Exzellenz und revolutionären Stolzes. Doch die anhaltende Wirtschaftskrise auf der Insel hat nun auch eine der angesehensten Institutionen des Landes erfasst. Immer mehr Tänzerinnen und Tänzer verlassen Kuba, um im Ausland eine Zukunft zu suchen – nicht aus künstlerischer Rebellion, sondern aus schierer Notwendigkeit.
Ein Beispiel für diesen Exodus ist die 21-jährige Carolina Rodríguez. Sie begann ihre Ausbildung bereits im Alter von acht Jahren an der staatlichen Ballettschule in Havanna, einer Kaderschmiede des kubanischen Nationalballetts. Heute tanzt sie nicht mehr in Havanna, sondern am Opernhaus in Oslo. Der Schritt ins Ausland war für sie, wie für viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, eine Entscheidung zwischen Berufung und Überleben. „Es liegt nicht am Nationalballett selbst, sondern an dem, was außerhalb passiert“, sagte Rodríguez. Seit Jahren steckt Kuba in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die nach Meinung vieler Beobachter die schwerste seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist. Inflation, Stromausfälle und Versorgungsengpässe bestimmen den Alltag. Regale in den Supermärkten bleiben leer, Strom wird in Havanna teils zehn Stunden täglich rationiert. Im Jahr 2024 musste die Regierung erstmals Nahrungsmittelhilfe vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen anfordern. Die Bevölkerung schrumpfte zwischen 2021 und 2024 laut Regierungsangaben um zehn Prozent – inoffiziell dürfte der Verlust noch weit höher sein. Auch die Bühne ist davon betroffen. Die Nationaltruppe, einst mit über hundert Mitgliedern ein Aushängeschild des Landes, zählt heute nur noch 55 Tänzerinnen und Tänzer – ein Stand, der an ihre Anfangsjahre erinnert. Viele Ballettschülerinnen und -schüler, die den Sprung in die Kompanie schaffen, nutzen internationale Gastspiele, um das Land zu verlassen. Stromausfälle machen die Trainingssäle unerträglich heiß, Spitzenschuhe stecken monatelang im Zoll fest, medizinisches Material ist knapp. Der Exodus ist nicht neu, doch selten war er so massiv. Schon in den 1960er Jahren flohen Tänzer während internationaler Tourneen in den Westen. In den 2000er Jahren nutzten mehrere Gruppen Auftritte in Kanada, Puerto Rico und Mexiko, um zu bleiben. Die jüngste Ausreisewelle ist allerdings weniger politisch motiviert als wirtschaftlich. Die Pandemie, das Einbrechen des Tourismus und neue US-Sanktionen haben das Land in eine Spirale der Verarmung gestürzt. Rodríguez verdiente in Havanna rund 4.700 Pesos im Monat – etwa 14 Dollar. Zum Leben reichte das kaum. Heute erhält sie in Norwegen rund 3.200 Euro im Monat, genug, um ihre Familie in Kuba finanziell zu unterstützen. Beim Besuch in Havanna konnte sie erstmals ihre Eltern und Großeltern zum Essen einladen – ein für viele Kubaner kaum noch erschwinglicher Luxus. Auch andere ehemalige Ensemblemitglieder berichten von ähnlichen Motiven. Der 23-jährige Yasiel Hodelin wechselte 2023 zur Birmingham Royal Ballet in England, wo ihm der kubanische Star Carlos Acosta den Einstieg erleichterte. Mit seinem neuen Einkommen konnte Hodelin seiner Familie in Kuba ein Auto kaufen – ein Symbol dafür, was im Ausland möglich ist, zu Hause aber unerreichbar bleibt. Der 26-jährige Narciso Medina, einst Solist des kubanischen Nationalballetts, zog Ende 2022 die Konsequenz aus der wirtschaftlichen Misere. Er wechselte zu BalletMet in Columbus, Ohio. Während der Pandemie hatten sich für ihn durch den Weggang vieler Tänzer neue Rollen eröffnet, doch bald blieb auch das Publikum fern. Die Theater füllten sich nicht mehr, das Geld fehlte, und die Zukunftsperspektive schwand. Heute spricht er mit seinen früheren Kolleginnen kaum noch über Tanz, sondern über Ausreisepläne. Kuba hatte lange ein angespanntes Verhältnis zu seinen Künstlern im Ausland. Wer das Land verließ, durfte nicht zurückkehren, schon gar nicht, um auf heimischen Bühnen aufzutreten. Diese Haltung hat sich gelockert. Viele Exiltänzer können heute wieder einreisen – als Besucher oder kurzzeitig als Gastkünstler. Doch die Perspektive einer Rückkehr bleibt für die meisten fern. Die Nationaltruppe, gegründet 1948 von Alicia Alonso und ihrem Ehemann Fernando, war einst Ausdruck des kulturellen Selbstbewusstseins der Revolution. Alonso, die bis ins hohe Alter auftrat und die Kompanie bis zu ihrem Tod 2019 leitete, verband klassische Strenge mit kubanischer Musikalität. Ihre Tänzer traten auf internationalen Bühnen auf und brachten den Ballettgeist in die entlegensten Provinzen der Insel. Heute ist von diesem Glanz wenig geblieben. Das Nationalballett bleibt zwar ein Symbol des kubanischen Selbstverständnisses, doch es kämpft ums Überleben – wie das Land selbst. Die wenigen, die bleiben, versuchen, zwischen „Überleben und Kunst“ eine Balance zu halten, wie Eduardo Vilaro, Direktor des New Yorker Ballet Hispánico, es ausdrückte. Für die junge Generation steht indes fest, dass sich das Zentrum kubanischer Ballettkunst längst verlagert hat – nicht mehr in Havanna, sondern in die internationalen Compagnien von Oslo bis London, von Birmingham bis Columbus. Und solange sich die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse auf der Insel nicht ändern, wird dieser Exodus kaum enden.
Quelle: San Juan Daily Star (https://t1p.de/v8rhr)
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Text: Leon Latozke
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