Neues aus Kuba
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Die jüngsten Gerüchte über den möglichen Tod von Raúl Castro, der im Juni 2024 seinen 93. Geburtstag feierte, haben in Kuba und in den sozialen Medien erhebliche Unruhe ausgelöst. Ähnliche Gerüchte kursierten bereits in der Vergangenheit, oft entpuppten sie sich als falsch. Doch diesmal scheint die Lage anders zu sein. Das offizielle Schweigen der kubanischen Regierung lässt die Bevölkerung und internationale Beobachter vermuten, dass Castro entweder verstorben ist oder sich in einem so schlechten gesundheitlichen Zustand befindet, dass er nicht mehr öffentlich auftreten kann. Diese Unsicherheit führt zu weitreichenden Spekulationen darüber, was das endgültige Ende der Castro-Ära für die Zukunft Kubas bedeuten könnte.
Historisch gesehen hatte Raúl Castro bereits seit 2006, nach dem gesundheitlichen Rückzug seines Bruders Fidel, die Kontrolle über Kuba übernommen. Als Fidel 2016 starb, war Raúl bereits fest als der neue starke Mann etabliert. Offiziell übergab er 2018 das Präsidentenamt an Miguel Díaz-Canel, blieb jedoch im Hintergrund als mächtige und bestimmende Figur, die weiterhin die Fäden zog. Raúls Einfluss war entscheidend, nicht nur für Díaz-Canel, sondern für das gesamte kubanische Machtgefüge. Seine Unterstützung, insbesondere die des Militärs, war die Basis für Díaz-Canels Präsidentschaft. Ohne diese Unterstützung steht seine Regierung auf äußerst wackeligen Beinen, da die wahre Macht in Kuba traditionell beim Militär liegt. Das Parlament und zivile Strukturen haben nur eine untergeordnete Bedeutung, und die Entscheidungsträger in Olivgrün sind die wahren Machthaber auf der Insel. Sollte Raúl tatsächlich verstorben sein, könnte dies zu einer Neuordnung der Macht innerhalb des Militärs führen. Vier hochrangige Generäle der kubanischen Streitkräfte sind in den letzten Wochen verstorben, darunter Generalmajor Jorge Luis Guerrero Almaguer. Diese Todesfälle haben die ohnehin angespannten Machtverhältnisse zusätzlich belastet und könnten für politische Instabilität sorgen. Der Tod dieser militärischen Führungsfiguren wirft die Frage auf, wer nach Raúl Castro die Führung übernehmen könnte. Es gibt keine vergleichbare Figur von solcher historischer Bedeutung, die das Militär und die politische Elite zusammenhalten könnte. Die Sorge über einen internen Machtkampf innerhalb der Streitkräfte wächst, und Díaz-Canel sowie Premierminister Manuel Marrero sind direkt betroffen. Ohne die Unterstützung des Militärs sind ihre politischen Karrieren praktisch beendet. Während die politische Führung Kubas möglicherweise in Turbulenzen gerät, ist die kubanische Bevölkerung in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise gefangen. Mehr als 90 Prozent der Kubaner leben laut einer Studie des Observatorio Cubano de los Derechos Humanos an der Armutsgrenze. Seit Jahrzehnten hat die Wirtschaftskrise auf der Insel das tägliche Leben erschwert, doch in den letzten Jahren hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Die Inflation und wirtschaftliche Rezession haben zu einem massiven Exodus geführt. Allein zwischen Oktober 2021 und April 2024 haben über 738.000 Kubaner das Land in Richtung USA verlassen. Hinzu kommen unzählige Menschen, die nach Europa oder Lateinamerika geflohen sind, um der zunehmenden Not auf der Insel zu entkommen. In dieser angespannten Lage hat die kubanische Regierung im September den "wirtschaftlichen Kriegszustand" ausgerufen, was einem Eingeständnis ihrer eigenen Unfähigkeit gleichkommt, die grundlegenden Probleme des Landes zu lösen. Diese Erklärung deutet auf eine Regierung hin, die weder eine Vision noch Mittel hat, die Krise zu bewältigen. Die Botschaft an die Bevölkerung ist eindeutig: "Wir können keine Probleme lösen, aber ihr müsst weiter Widerstand leisten." Der Tod von Raúl Castro würde das Ende einer Ära markieren, jener der "historischen Generation", die den Sturz des Diktators Fulgencio Batista 1959 anführte und die kubanische Revolution ins Leben rief. Doch politisch wird dies kaum zu einem sofortigen Wandel führen. Raúl hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Macht in den Händen einer kleinen Elite und des Militärs bleibt. Diese Gruppe hat sich intensiv darauf vorbereitet, das Ende der Castro-Dynastie zu überstehen, ohne ihre wirtschaftliche und politische Kontrolle zu verlieren. Der Übergang zum "Neocastrismo", wie manche es nennen, ist bereits in vollem Gange. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Ideologie, sondern um die Fortführung eines Systems, das die wirtschaftlichen Interessen einer kleinen Elite über alles stellt. Auf internationaler Ebene gibt es zudem wenig Anzeichen für eine Veränderung. Die USA haben in den letzten Jahren ihre Unterstützung für die kubanische Opposition, sowohl auf der Insel als auch im Ausland, zurückgefahren. Europäische und nordamerikanische Unternehmen zeigen trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in Kuba ein wachsendes Interesse an Investitionen, um den Einfluss Russlands und Chinas auf der Insel zu begrenzen. Diese geopolitischen Interessen geben der kubanischen Führung ein Gefühl der Sicherheit, da sie sich weiterhin als wichtiges strategisches Scharnier zwischen den Großmächten sehen. Selbst wenn Raúl Castro stirbt, wird dies vermutlich keinen sofortigen Wandel auf der Insel herbeiführen. Die Strukturen des Castrismus sind tief verwurzelt und wurden in den letzten Jahrzehnten darauf ausgelegt, auch ohne die Castro-Brüder zu funktionieren. Raúl hat sich, wie zuvor auch Fidel, zunehmend aus dem täglichen politischen Geschehen zurückgezogen und ist eher zu einer mythischen Figur geworden, deren Einfluss aus dem Schatten wirkt. Dieser Mythos, der die Revolution und ihre Errungenschaften weiterhin verklärt, dient der Regierung als Mittel, um die Bevölkerung zum Durchhalten zu bewegen, trotz der zunehmend unerträglichen Lebensbedingungen. Eine mögliche Hoffnung auf Veränderung könnte langfristig aus dem Zerfall dieses Mythos’ erwachsen. Sollte es der Regierung nicht mehr gelingen, die Bevölkerung mit den revolutionären Idealen zu mobilisieren, könnte dies den Grundstein für echte Reformen legen. Doch im Moment scheint dies noch in weiter Ferne. Die politische Elite hat in den letzten Jahren erfolgreich daran gearbeitet, ihre Macht zu konsolidieren und sich international abzusichern. Sie agiert geschickt in internationalen Organisationen, pflegt diplomatische Beziehungen und hat es geschafft, selbst die internationale Linke hinter sich zu vereinen, indem sie weiterhin auf antiimperialistische Rhetorik setzt. Solange die Macht innerhalb des kubanischen Militärs und der politischen Elite fest in den Händen weniger Personen bleibt, ist es unwahrscheinlich, dass sich die Situation für die Mehrheit der Kubaner grundlegend verbessern wird. Nur ein bedeutender Bruch innerhalb dieser Strukturen könnte den Weg für tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen ebnen. Bis dahin bleibt die kubanische Bevölkerung gefangen in einem System, das ihnen wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft bietet.
Quellen: DW (https://t1p.de/qnuae), Vanguardia (https://t1p.de/i3k8w), Diarios las Americas (https://t1p.de/kc39g)
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Text: Leon Latozke
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