Neues aus Kuba
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Eine drastische Erhöhung der Mobilfunktarife durch das staatliche Unternehmen ETECSA hat auf Kuba landesweite Proteste unter Studierenden ausgelöst. Der Konflikt stellt nicht nur das Verhältnis zwischen Jugend und Regierung auf die Probe, sondern offenbart auch erste Risse im fest gefügten System der staatlichen Hochschulorganisation.
Abbildung: user:akasenn, Universidad de la habana fachada, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Die Erhöhung der Mobilfunktarife durch das staatliche Telekommunikationsunternehmen Etecsa hat auf Kuba eine ungewöhnlich deutliche Protestwelle unter Studierenden ausgelöst. An mehreren Universitäten im ganzen Land kam es zu Versammlungen, öffentlichen Stellungnahmen – und in einzelnen Fällen sogar zu unbefristeten Streiks. Die Proteste richten sich nicht nur gegen die Preisgestaltung selbst, sondern machen tiefere politische und soziale Spannungen sichtbar.
Was als wirtschaftliche Maßnahme zur Stabilisierung der angeschlagenen Staatsbetriebe angekündigt wurde, hat sich binnen weniger Tage zu einem Symbol des zunehmenden Unmuts der sogenannten „Hijos de la crisis“ entwickelt – einer Generation, die seit ihrer Kindheit mit Krisen und Mangel lebt. Beobachter sprechen von einem beispiellosen Vorgang: Erstmals seit Jahren formiert sich an den Universitäten organisierter Widerstand gegen Entscheidungen der Regierung – offen, koordiniert und nicht selten mit Unterstützung von Lehrkräften. Preiserhöhung mit politischer Sprengkraft Ausgangspunkt war ein neues Tarifmodell, das am 30. Mai angekündigt und zwei Tage später umgesetzt wurde. Ein monatliches Basispaket von sechs Gigabyte mobiler Daten kostet nun 360 kubanische Pesos, umgerechnet etwa drei US-Dollar zum offiziellen Wechselkurs. Zusätzliche Datenmengen müssen separat bezahlt werden – zu Preisen, die für viele Studierende kaum erschwinglich sind. Eine einzige Aufladung kann das Niveau eines staatlichen Monatslohns übersteigen. Wer schnelleres Internet oder mehr Volumen benötigt, muss in Fremdwährung zahlen. Gerade für Universitätsangehörige, die auf digitale Kommunikation angewiesen sind, stellt diese Maßnahme eine massive Belastung dar. In Reaktion darauf kam es in mehreren Fakultäten zu Vollversammlungen, in denen die neuen Tarife scharf kritisiert und konkrete Gegenmaßnahmen gefordert wurden. Einige Fachbereiche, darunter die Fakultäten für Mathematik und Informatik sowie für Medizin in Havanna, beschlossen unbefristete Streiks. Ein Dozent der Universität von Havanna, der anonym bleiben möchte, bezeichnete die Entwicklung gegenüber der Nachrichtenagentur EFE als „historisch“. Er betonte zugleich, es sei noch zu früh, um das Ausmaß oder die Nachhaltigkeit der Proteste einschätzen zu können. Distanz zur offiziellen Studentenvertretung Auffällig ist dabei auch die Distanzierung vieler Studierender von der offiziell staatstreuen Studentenorganisation FEU (Federación Estudiantil Universitaria). Diese hatte sich öffentlich nicht gegen die Tarifänderungen ausgesprochen und gilt seit jeher als verlängerter Arm der regierenden Kommunistischen Partei (PCC). Dass sich studentische Initiativen offen von der FEU absetzen, deutet auf eine wachsende Unabhängigkeit innerhalb der jüngeren Generation hin – und auf eine schwindende Bindung an traditionelle politische Strukturen. Ein Student aus dem dritten Studienjahr erklärte gegenüber EFE, dass der Beschluss zum Streik demokratisch getroffen und in der Fakultät öffentlich verlesen worden sei. Nur wenige Studierende hätten sich dagegen ausgesprochen. „Der Dialog mit den Verantwortlichen ist bislang ergebnislos geblieben. Man hört uns zu, aber man reagiert nicht“, sagte er. Regierung sucht den Dialog – und gibt dem Ausland die Schuld Die kubanische Führung reagierte auf die Proteste in ungewohnter Offenheit. Präsident Miguel Díaz-Canel äußerte Verständnis für die entstandene Unzufriedenheit und sprach von „berechtigten Kritiken“. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die finanzielle Lage von Etecsa aufgrund rückläufiger Deviseneinnahmen äußerst angespannt sei. Die Maßnahme diene der Abwendung eines drohenden „technologischen Kollapses“. Zwar kündigten die Behörden an, ein zweites verbilligtes Datenpaket für Studierende anzubieten. An der grundsätzlichen Preisstruktur soll sich jedoch nichts ändern. Die Regierung räumte Kommunikationsdefizite ein, verteidigte aber die wirtschaftliche Notwendigkeit der Maßnahme. Parallel zu diesen moderaten Zugeständnissen wird in staatsnahen Medien und offiziellen Verlautbarungen der Versuch unternommen, die Proteste in ein geopolitisches Narrativ einzuordnen. Demnach seien exilkubanische Gruppen aus den USA maßgeblich an der Organisation und Eskalation der Proteste beteiligt. Díaz-Canel sprach in diesem Zusammenhang von einer „brutalen Offensive“ antirevolutionärer Plattformen, die eine „Kampagne des politischen Diskredits“ gegen die Regierung führen würden. Diese Sichtweise wird unter den Studierenden jedoch weitgehend zurückgewiesen. Die Beteiligung sei einheimisch, basisorientiert und weitgehend unabhängig von der organisierten Opposition. Auch unter den Protestierenden existieren keine einheitlichen politischen Positionen. Vielmehr deutet sich eine zunehmende Fragmentierung des politischen Bewusstseins junger Kubanerinnen und Kubaner an – jenseits der ideologischen Polarisierung zwischen Regierung und Exilopposition. Politisches Aufbegehren in einem engen System Ob es sich bei den Protesten um eine nachhaltige politische Bewegung oder lediglich um eine punktuelle Reaktion auf eine unpopuläre Maßnahme handelt, ist derzeit nicht absehbar. Das bevorstehende Semesterende könnte die Dynamik bremsen. Auch bleibt offen, ob die Protestierenden in den kommenden Monaten Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen eingehen können – etwa mit Beschäftigten im Gesundheits- oder Bildungswesen, die ebenfalls unter der wirtschaftlichen Lage leiden. Dennoch markiert die aktuelle Entwicklung einen Einschnitt. Dass Studierende offen Kritik an staatlichen Entscheidungen üben, Proteste organisieren und sogar institutionalisierte Strukturen wie die FEU hinterfragen, ist in der kubanischen Hochschullandschaft keineswegs selbstverständlich. In einem Land, in dem politische Loyalität über Jahrzehnte hinweg systematisch eingefordert wurde, sind die aktuellen Stimmen der Studierenden Ausdruck eines wachsenden Bedürfnisses nach Mitsprache und Teilhabe – wenn auch unter prekären Bedingungen. Präsident Díaz-Canel formulierte es so: „Es ist nicht das, was wir wollen, aber es ist das, was wir haben.“ Für viele junge Kubaner scheint das nicht mehr zu genügen.
Quelle: EFE (https://t1p.de/vvlvk)
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Text: Leon Latozke
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