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Inmitten der schwersten Versorgungskrise seit Jahrzehnten füllen informelle Netzwerke der Solidarität die Lücke, die der Rückzug des kubanischen Staates hinterlässt. Immer mehr Bürger organisieren sich über soziale Medien, um Medikamente, Lebensmittel oder sogar Wohnungen für Bedürftige bereitzustellen.
Abbildung: Eine Gruppe von Menschen vor einem staatlichen Lagerhaus in Havanna, Kuba, am 16. Februar 2025. (Bildquelle: EL PAÌS © Ramon Esoinosa/AP)
Millionen Kubaner leben in Hunger, Not und Obdachlosigkeit – und können sich dabei immer weniger auf ihren Staat verlassen. Stattdessen entsteht im Schatten der Krise ein Netzwerk aus zivilgesellschaftlicher Solidarität, das das Überleben vieler sichert. Wie die spanische Tageszeitung EL PAÌS berichtet, bilden freiwillige Helfer, Spender aus dem Exil und informelle Unterstützungsgruppen eine neue soziale Infrastruktur, die den Alltag zahlreicher Bedürftiger prägt.
Die Lage in Kuba hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschärft. Nach EL PAÌS leben rund 89 Prozent der kubanischen Familien in extremer Armut. Gleichzeitig gibt es einen akuten Mangel an Medikamenten, Lebensmitteln und Wohnraum. Der Staat, dem laut Verfassung die Fürsorgepflicht für die Bevölkerung obliegt, tritt zunehmend als abwesender Akteur auf. In diesem Vakuum entstehen Initiativen der gegenseitigen Hilfe, getragen von Einzelpersonen, Netzwerken und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ein besonders eindrückliches Beispiel schildert EL PAÌS anhand der Geschichte von Vicente Borrero. Der 77-jährige Mann mit körperlicher Behinderung lebte jahrzehntelang in einer notdürftig zusammengebauten Hütte im Osten der Insel. Durch einen Facebook-Aufruf des unabhängigen Journalisten Guillermo Rodríguez sammelten Unterstützer innerhalb von drei Tagen über 200.000 Pesos – genug, um Vicente ein neues, festes Haus zu kaufen und es mit grundlegender Ausstattung zu versehen. Rodríguez organisiert seit mehreren Jahren solche Hilfsaktionen. Er beschafft Häuser, Medikamente, Rollstühle oder auch nur einfache Alltagsgegenstände wie Seife oder Matratzen für besonders Bedürftige. Diese Hilfe erfolgt weitgehend informell – über soziale Netzwerke, persönliche Kontakte und Gruppen wie „Manos a la Obra“ („Lasst uns anpacken“), in denen Medikamente organisiert und verteilt werden. In staatlichen Apotheken fehlen derzeit über 460 Medikamente, wie selbst offizielle Stellen einräumen. Daher greifen viele Kubaner zu alternativen Methoden: Sie starten Spendenkampagnen, etwa über GoFundMe, um Auslandsbehandlungen zu finanzieren oder humanitäre Visa zu beantragen. Die Aktivistin und Kunsthistorikerin Yamilka Lafita betont, dass diese Hilfe nicht als Schönfärberei des Systems verstanden werden dürfe. Vielmehr stelle jede erfolgreiche Kampagne auch eine Anklage gegen den kubanischen Staat dar – gegen ein Gesundheitssystem, das nicht mehr funktioniert, und gegen eine politische Ordnung, die Notlagen ignoriert. Die Krise betrifft nicht nur das Gesundheitswesen. Auch die Wohnsituation ist katastrophal: Laut offiziellen Angaben fehlen 862.000 Wohnungen – inoffiziell könnten es über 1,2 Millionen Obdachlose sein. Hinzu kommen viele weitere, die in überfüllten oder maroden Behausungen leben. Die wirtschaftliche Lage bleibt prekär: Mit einer Inflationsrate von fast 25 Prozent im Jahr 2024 und stagnierendem Tourismus sehen sich viele Kubaner gezwungen, auf informelle Wirtschaft, oder Auslandsüberweisungen zurückzugreifen, um zu überleben. Doch selbst diese wirtschaftlichen Nischen sind ungleich verteilt. Es habe sich eine neue soziale Schicht herausgebildet, so EL PAÌS – die sogenannten „Neureichen“. Diese meist geschäftlich aktiven oder im Ausland lebenden Kubaner fahren in Havanna mittlerweile teils Luxuswagen wie Mercedes oder Audi. Dagegen stehen Rentner mit monatlichen Bezügen von umgerechnet fünf US-Dollar, die kaum noch Nahrung erhalten. Der Dissident José Daniel Ferrer berichtet, dass er in seiner Nachbarschaft täglich mehr als tausend warme Mahlzeiten an Bedürftige verteilt – finanziert durch Spenden aus dem Ausland. Im Unterschied zur „Sonderperiode“ der 1990er-Jahre könne man heute zwar mit Geld vieles kaufen, doch für die Mehrheit, die über kein Geld verfügt, sei die Situation noch dramatischer als damals. Besonders drastisch ist die Lage in der Energieversorgung. Stromausfälle gehören zum Alltag. Die veraltete Infrastruktur, fehlende Wartung und der Rückgang venezolanischer Öllieferungen haben das Land in eine Energiekrise gestürzt. Auch hier helfen Exilkubaner mit Solarpanels oder Generatoren. Doch auch diese Ressourcen sind begrenzt. Hoffnung auf Unterstützung setzen die Verantwortlichen vor allem auf Russland – ein Schritt, den der Ökonom Ricardo Torres kritisch sieht. Solange sich Kuba weigere, seine zentralistisch gelenkte Wirtschaft zu reformieren, bleibe es für internationale Partner unzuverlässig. Vor diesem Hintergrund wächst auch die Repression. Während der Staat bei der medizinischen Versorgung, Energie oder Lebensmittelverteilung kaum noch präsent ist, funktioniert die Überwachung der Bevölkerung weiterhin effektiv. Mehr als 1.000 politische Gefangene sitzen derzeit in kubanischen Gefängnissen. Aktivisten, die sich öffentlich äußern, werden regelmäßig schikaniert oder verhaftet. Während medizinische Notrufe unbeantwortet bleiben, seien Sicherheitskräfte binnen Minuten zur Stelle, wenn jemand „Nieder mit Raúl Castro!“ ruft, berichtet die Aktivistin Carolina Barrero. In den Augen vieler ist das kein Zeichen des Scheiterns – sondern eines Systems, das Prioritäten setzt. Kontrolle vor Versorgung. Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Sieg der Revolution erscheint der kubanische Staat vielen seiner Bürger als überfordert, abgewandt und zunehmend irrelevant. Die Zivilgesellschaft füllt die entstandenen Lücken mit beispielloser Solidarität – doch diese ist fragil, politisch gefährdet und keine dauerhafte Lösung. Die Krise auf der Insel sei tiefgreifend und systemisch. Ohne grundlegende politische und wirtschaftliche Reformen werde sie sich weiter verschärfen – auch wenn viele Kubaner weiterhin alles tun, um sich gegenseitig über Wasser zu halten.
Quelle: EL PAÌS (https://t1p.de/2cmt5)
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Text: Leon Latozke
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