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Mangosaison in Kuba – süß, saftig und überlebenswichtig. Inmitten einer dramatischen Versorgungskrise wird die Frucht zum Rettungsanker für viele Kubanerinnen und Kubaner.
In Kuba hat die Mangosaison begonnen – für viele Kubanerinnen und Kubaner ein Moment des Aufatmens. Denn das süße, saftige Obst wird nicht nur als kulinarische Köstlichkeit geschätzt, sondern ist angesichts der anhaltenden Lebensmittelknappheit ein überlebenswichtiger Ersatz für teurere oder schlichtweg nicht verfügbare Nahrungsmittel. Die aktuelle Erntezeit wirft damit ein Schlaglicht auf die chronische Versorgungskrise im Land, die sich seit Jahren verschärft und den Alltag der Menschen prägt – insbesondere den von Frauen, Kindern und Menschen mit niedrigem Einkommen.
Die Autorin Lien Estrada beschreibt in einem Bericht für die Havana Times eindrücklich, welche zentrale Rolle Mangos in der kubanischen Ernährung aktuell spielen. Die Früchte, ob als Saft, Marmelade, in Smoothies oder einfach roh verzehrt, lindern nicht nur akuten Hunger, sondern sind für viele Menschen das einzige halbwegs verlässliche Lebensmittel in einem ansonsten völlig überforderten Versorgungssystem. Obwohl Mangos auf dem Markt teuer sind, wachsen sie an vielen Orten wild – was sie zu einer Art Volksnahrung macht. „Wenn man nachts Hunger hat, isst man eine Mango und schläft danach besser“, so die Autorin. Der Mangel an Grundnahrungsmitteln, an Hygieneartikeln, Kleidung und Schulsachen wird zunehmend zu einer Belastung, die weite Teile der Bevölkerung überfordert. Besonders hart trifft es Familien mit Kindern. Die Preise selbst für einfache Süßigkeiten oder schlecht gemachte Karamellbonbons sind mittlerweile so hoch, dass sie für viele unerschwinglich sind. Die Alltagsberichte wie die von Estrada zeichnen ein Bild der strukturellen Mangelwirtschaft. So berichtet sie etwa von einem Back- und Konditoreikurs, der keine praktischen Übungen beinhaltete – schlicht, weil die notwendigen Zutaten nicht vorhanden waren. Die Vorstellung, Rezepte nur theoretisch durchzunehmen, ohne sie je umsetzen zu können, sei frustrierend und letztlich sinnlos. Die Realität auf Kuba lässt selbst grundlegende Ausbildungen in Bereichen wie Kochen zu einer Farce werden. In persönlichen Gesprächen mit Freundinnen, die ebenfalls gerne kochen, tritt das Ausmaß der Ernährungsarmut noch deutlicher zutage. Beim gemeinsamen Anschauen internationaler Kochshows wird vielen bewusst, wie weit entfernt ihre Lebensrealität von jener anderer Länder ist. „Ich konnte keines dieser Gerichte nachkochen“, so eine Freundin von Estrada. Die Vielfalt an Zutaten, Gewürzen, Techniken und Küchengeräten bleibt für viele Kubanerinnen und Kubaner ein ferner Traum – eine bittere Erkenntnis, die sich besonders beim Vergleich mit ausländischen Medienangeboten verstärkt. Ein Beispiel aus Holguín zeigt, wie früh sich Kinder dieser Realität bewusst sind. Eine kubanisch-italienische Familie plant die Rückkehr nach Europa. Auf die Frage, ob sie Kuba verlassen wolle, antwortet das Mädchen Ja und Nein. Und der Grund für ihr „Ja“? Das Essen! Sie sagte, dass die Pizzen dort größer sind und mehr Belag haben und auch die mageren Verpflegung im Kinderferienlager El Valle, blieb haften. Die einzige Süßigkeit dort: ein Mango-Lutscher. Neben dieser allgegenwärtigen Knappheit existiert aber auch eine starke emotionale Bindung zur kubanischen Küche. Estrada beschreibt, wie sehr sie traditionelle Speisen trotz allem liebt – auch wenn ihre Generation nur eine eingeschränkte Version dessen kennengelernt hat, was die kubanische Kochkunst einst war. Gerade im Ausland sei es das Essen – neben der Sprache –, das sie am meisten vermisst. Trotz aller Widrigkeiten ist ihre Hoffnung auf Veränderung ungebrochen. Die Rückkehr zu kulinarischem Reichtum sieht sie als Teil einer umfassenderen nationalen Wiederherstellung. Nur wenn Kuba als Gesellschaft Wege findet, seine Bevölkerung wieder zuverlässig zu ernähren, können aus ihrer Sicht auch Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit oder kulturelle Entfaltung wieder wachsen. „Man kann keine Poesie schaffen, wenn es kein Brot gibt“, lautet ihre zentrale Erkenntnis. Die Mangosaison wird so zum Symbol für das Durchhaltevermögen der Kubanerinnen und Kubaner – aber auch für die Dringlichkeit umfassender Reformen. Dass eine Frucht als Notlösung für ein ganzes Volk dienen muss, ist eine stille Anklage gegen die politische und wirtschaftliche Misere des Landes. Die süße Frucht kann den Hunger für einen Moment stillen. Doch sie ist keine Antwort auf ein strukturelles Versagen, das längst nach nachhaltigen Lösungen verlangt.
Quelle: Havanna Times (https://t1p.de/ueszs)
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Text: Leon Latozke
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