Neues aus Kuba
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In Kubas ländlichen Regionen nimmt der Viehdiebstahl dramatisch zu – mit gravierenden Folgen für die Landwirtschaft und die Versorgungslage des Landes. Bauern sehen sich gezwungen, ihre Herden aufzugeben, während der Schwarzmarkt floriert. Der Staat reagiert mit repressiven Maßnahmen, doch strukturelle Probleme bleiben ungelöst.
Die kubanische Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise – und mit ihr das Land selbst. Während die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf der Insel weiter zunehmen, eskaliert in ländlichen Regionen ein Phänomen, das an archaische Zeiten erinnert: der systematische Diebstahl und die illegale Schlachtung von Rindern. Für die betroffenen Bauern bedeutet das nicht nur wirtschaftliche Not, sondern oftmals das Ende ihrer Existenzgrundlage. Der Staat reagiert mit Härte – jedoch ohne nachhaltigen Erfolg.
In der Provinz Matanzas, im Westen der Insel, hat sich die Situation in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt. Julio, ein 71-jähriger Bauer aus dem Ort Vegas nahe Cárdenas, verkaufte im vergangenen Jahr seine gesamte Rinderherde. Der Grund: nächtliche Überfälle und das wiederholte Abschlachten seiner Tiere durch Diebe. Acht Kühe verlor er innerhalb weniger Monate. Die Täter blieben meist unerkannt, ihre Beute landete auf dem florierenden Schwarzmarkt – ein lukratives Geschäft in Zeiten akuter Versorgungsengpässe. „Wir bleiben sonst mit nichts zurück“, sagt Julio gegenüber der Nachrichtenagentur EFE. Die Aussicht, die staatlich geforderte Milchquote nicht erfüllen zu können, und die Unmöglichkeit, einen privaten Wachschutz zu bezahlen, trieben ihn und seinen Bruder zu einem radikalen Schritt: Aufgabe der Viehzucht nach Jahrzehnten harter Arbeit. Julios Fall ist symptomatisch für eine Entwicklung, die sich seit Jahren abzeichnet und in der aktuellen wirtschaftlichen Krise einen neuen Höhepunkt erreicht. Laut offiziellen Angaben verlor Kuba allein im Jahr 2022 rund 82.000 Rinder durch Diebstahl und illegale Schlachtung – ein Anstieg um 145 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Provinz Matanzas lag mit über 8.000 Fällen auf dem dritten Platz. Exakte Zahlen für 2023 und 2024 liegen zwar nicht vor, doch die Rückmeldungen aus der Landwirtschaft zeichnen ein düsteres Bild. Hinzu kommt: Die Gewaltbereitschaft der Täter nimmt zu. Neben improvisierten Schusswaffen berichten Bauern auch von nächtlichen Konfrontationen und regelrechten Überfällen. Die landwirtschaftliche Arbeit wird zunehmend zum Risiko – mit Folgen für die gesamte Versorgungslage. Der Verlust von Nutztieren bedeutet in einem Land mit chronischem Milchmangel zugleich einen Rückgang der ohnehin knappen Lebensmittelproduktion. Laut dem staatlichen Medium Tribuna de La Habana lag der tatsächliche Konsum tierischer Eiweiße 2023 bei lediglich sieben Prozent des empfohlenen Monatsbedarfs. Die Auswirkungen betreffen nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe, sondern auch das Vertrauen in staatliche Strukturen. Viele Bauern geben ihre Tätigkeit auf, verkaufen das Vieh oder verzichten ganz auf Tierhaltung. Die Gründe sind vielfältig: Neben der Furcht vor Diebstahl zählen geringe Gewinnmargen, veraltete Produktionsmittel und ausbleibende Investitionen zu den Hauptproblemen. Besonders hart trifft es Landwirte mit Flächen in staatlicher Verpachtung, deren Handlungsspielraum ohnehin begrenzt ist. Die staatliche Reaktion folgt dem Muster der Repression. Zwischen Januar und August 2024 wurden 1.615 Personen wegen illegaler Schlachtung und Fleischhandels verurteilt. Der kubanische Staat kündigt regelmäßig verschärfte Maßnahmen gegen die Täter an. Doch vor Ort sehen sich die Betroffenen meist allein gelassen. Die Täter agieren nachts, professionell organisiert und häufig ohne Spuren zu hinterlassen. „Manchmal bleibt nur die tote Kuh“, sagt Julio. Anzeige zu erstatten bringe oft wenig – die Aufklärungsquote ist niedrig, der Aufwand für die geschädigten Bauern hoch. Auch strukturelle Schwächen tragen zur Verschärfung der Situation bei. Seit Jahren schrumpft der Viehbestand kontinuierlich. Von 4 Millionen Tieren im Jahr 2019 sank die Zahl laut offizieller Statistik auf 2,9 Millionen Anfang 2025. Gründe sind neben illegaler Schlachtung auch Unterernährung, Alter und schlechte Haltungsbedingungen. Futter ist knapp, Medikamente rar, Ersatzteile für Melkmaschinen kaum verfügbar. Die Produktionskette ist in weiten Teilen gestört – und kaum reformiert worden. Besonders alarmierend ist, dass sich unter jungen Landwirten ein Gefühl der Resignation breitmacht. Ein junger Bauer, der anonym bleiben möchte, berichtet gegenüber EFE von bewaffneten Übergriffen in der Region Vegas. „Die Situation hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Viele geben auf. Entweder man verliert alles – oder man riskiert sein Leben“, sagt er. Eine Perspektive sieht er nicht. Die illegalen Schlachtungen sind damit nicht nur ein Kriminalitätsproblem, sondern Ausdruck eines größeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dilemmas. Der Schwarzmarkt floriert, weil der offizielle Markt versagt. Die Versorgungslage in Kuba ist so prekär, dass illegale Wege oft die einzige Möglichkeit bieten, an Fleisch zu gelangen – sowohl für Händler als auch für Konsumenten. Das Resultat ist ein Teufelskreis, in dem wirtschaftliche Not und rechtliches Unvermögen einander bedingen. Die Regierung steht vor einer doppelten Herausforderung: einerseits die kriminellen Strukturen zu bekämpfen, andererseits die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landwirtschaft nachhaltig zu verbessern. Bisher jedoch dominiert die Rhetorik der Repression, während die strukturellen Ursachen weitgehend unangetastet bleiben. Für Julio und viele seiner Kollegen ist die Konsequenz klar: Rückzug. Ohne Sicherheit, ohne faire Entlohnung und ohne Aussicht auf Besserung bleibt vielen Bauern nur der Ausstieg. Damit droht Kuba, nicht nur einen Teil seiner landwirtschaftlichen Produktion zu verlieren, sondern auch das Rückgrat seiner ländlichen Gesellschaft. Die Situation im kubanischen Agrarsektor offenbart einmal mehr die Dringlichkeit tiefgreifender wirtschaftlicher Reformen. Ohne strukturelle Verbesserungen bleibt der Kampf gegen illegale Schlachtung und Viehdiebstahl ein hoffnungsloser Kraftakt – zum Schaden der Landwirte, der Konsumenten und des gesamten Landes.
Quelle: EFE (https://t1p.de/gxnrw)
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Text: Leon Latozke
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