Neues aus Kuba
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Pedro Juan Gutiérrez zählt zu den bedeutendsten Chronisten des kubanischen Alltags. In seinen Romanen schildert er das Leben in Havanna jenseits touristischer Klischees – rau, ungeschönt und tief verankert in der sozialen Realität des Landes. Ein aktueller Beitrag auf ARTE widmet sich dem Schriftsteller und seiner Sicht auf die kubanische Hauptstadt.
Der kubanische Schriftsteller Pedro Juan Gutiérrez hat sich mit seinem schonungslosen Blick auf die kubanische Wirklichkeit einen festen Platz in der lateinamerikanischen Literatur erarbeitet. In seiner Reihe „Stadt Land Kunst“ der hat Kultursender ARTE dem Autor und seiner literarischen Verarbeitung der kubanischen Realität nun einen Beitrag gewidmet. Gutiérrez schildert Havanna nicht als touristisch inszenierte Kulisse, sondern als einen Ort des Überlebenskampfes, gezeichnet von Verfall, Entbehrung und unbändigem Lebenswillen. Seine Werke spiegeln die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen wider, die das Land seit den 1990er-Jahren durchlebt – eine Zeit, die bis heute prägend ist.
Pedro Juan Gutiérrez wurde 1950 in Matanzas geboren und wuchs unweit des Yumurí-Flusses in einfachen Verhältnissen auf. Schon früh schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, unter anderem als Verkäufer von Comics vor der legendären Bar Sloppy Joe’s in Havanna. Nach dem Militärdienst und einem berufsbegleitenden Journalistikstudium an der Universität von Havanna arbeitete er als Reporter in verschiedenen Medien. In den 1980er-Jahren berichtete er unter anderem aus brasilianischen Favelas, mexikanischen Grenzstädten und südspanischen Dörfern. Die Eindrücke dieser Reportagereisen sollten später in seine literarische Arbeit einfließen. Gutiérrez' Durchbruch als Schriftsteller gelang 1998 mit Trilogía sucia de La Habana (Schmutzige Trilogie von Havanna), die bei der spanischen Verlagsgruppe Anagrama erschien. Das Werk wurde schnell zu einem internationalen Erfolg – nicht zuletzt wegen seines kompromisslosen Stils. Im Mittelpunkt steht das Leben in Centro Habana, dem heruntergekommenen Stadtteil der kubanischen Hauptstadt. Alkohol, Sexualität, Aberglaube und ein rauer, oftmals vulgärer Ton dominieren die Szenerie. Seine Figuren kämpfen ums tägliche Überleben, verlieren nie ihren schwarzen Humor und bewegen sich oft am Rand der Legalität – oder darüber hinaus. Pedro Juan Gutiérrez wird häufig dem „schmutzigen Realismus“ zugeordnet – einer Stilrichtung, die für ihre knappe, direkte Sprache und die Fokussierung auf das Groteske, Körperliche und Derbe bekannt ist. Oft wird er mit Charles Bukowski verglichen und als „karibischer Bukowski“ bezeichnet. Seine Werke zeigen die kubanische Realität ohne beschönigende Distanz, aus der Perspektive eines unmittelbar Betroffenen. Dabei geht sein Stil über reine Nüchternheit hinaus: Er steigert die Wirklichkeit ins Poetische und Obszöne, um den allgegenwärtigen sozialen und existenziellen Druck spürbar zu machen. Der historische Kontext dieser Literatur ist die sogenannte Período especial, eine tiefgreifende Wirtschaftskrise in Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre. Mit dem Wegfall der sowjetischen Subventionen verlor Kuba über Nacht seine wichtigsten Handelsbeziehungen. Gleichzeitig verschärften die USA den Embargodruck, etwa durch das Torricelli-Gesetz von 1992. Die Versorgungslage verschlechterte sich rapide: Stromausfälle, Nahrungsmittelknappheit, Transportprobleme und der Verfall öffentlicher Infrastruktur prägten das tägliche Leben. In genau diesem Milieu ist Gutiérrez' Literatur verwurzelt. Derzeit erlebt Kuba eine Phase, die in vielerlei Hinsicht an die Período especial erinnert. Nach dem Rückzug venezolanischer Wirtschaftshilfe, den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, verschärften US-Sanktionen unter der Trump-Administration sowie anhaltenden strukturellen Problemen, steht das Land erneut vor massiven Versorgungsengpässen, Inflation, Stromausfällen und wachsender Abwanderung. In dieser Situation wirkt das literarische Werk von Pedro Juan Gutiérrez aktueller denn je: Es bietet keine einfachen Erklärungen, keine moralischen Urteile – sondern eine radikale Nahaufnahme des Alltags auf einer Insel im Ausnahmezustand. Seine Sprache, seine Figuren und seine Perspektive erinnern daran, dass die Geschichte Kubas nicht nur in ideologischen oder geopolitischen Kategorien erzählt werden kann. Sie spielt sich vor allem im Leben der Menschen ab, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Resignation und Widerstand Tag für Tag neu ums Überleben kämpfen. Wer Kuba verstehen will, jenseits touristischer Klischees und folkloristischer Postkartenidylle, muss Gutiérrez lesen.
>> Jetzt ARTE-Beitrag sehen: Juan Gutiérrez: Schmutziges Havanna
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Text: Leon Latozke
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