Neues aus Kuba
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Von der einstigen Stärke der kubanischen Zuckerindustrie ist kaum noch etwas übrig. Die dramatische Verschlechterung der Produktionsbedingungen gefährdet nun auch den Rumsektor – und damit eine der letzten international erfolgreichen Exportbranchen des Landes.
Abbildung von Csaba Veres auf Unsplash
In den 1980er-Jahren war Zucker das weiße Gold Kubas. Mit bis zu 8,5 Millionen Tonnen jährlich war das Land einer der führenden Zuckerexporteure der Welt. Heute, nur vier Jahrzehnte später, steht die einstige Vorzeigeindustrie vor dem völligen Kollaps – mit dramatischen Konsequenzen für andere Wirtschaftszweige, allen voran die Rumproduktion. Denn ohne Zuckerrohr kein Melasse, und ohne Melasse kein Rum.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind bereits jetzt gravierend. Wie die britische Zeitung The Guardian berichtet, erwarten Brancheninsider für das vierte Quartal 2025 einen völligen Produktionsausfall von Alkohol. Ein Manager der Branche, der anonym bleiben wollte, äußerte sich drastisch: „Es wird keinen Alkohol geben.“ Besonders betroffen sind dabei die vier ausländischen Unternehmen, die gemeinsam mit der kubanischen Regierung die Rumproduktion auf der Insel tragen: Diageo (Großbritannien), Pernod Ricard (Frankreich), LVMH (Frankreich) und die Norwegian Island Rum Company. Dabei ist Rum nicht nur ein Symbol kubanischer Identität, sondern auch einer der letzten international marktfähigen Exportartikel des Landes. Produkte wie Havana Club, Ron Santiago, Eminente oder Black Tears genießen weltweit Ansehen – auch aufgrund ihrer exklusiven Herkunft. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge darf der für den Export bestimmte Rum ausschließlich aus lokal erzeugten Rohstoffen bestehen. Das bedeutet: Importierte Melasse ist keine Option. Was in besseren Zeiten als Garantie für Authentizität galt, wird nun zum strukturellen Problem. Die Krise wurzelt tief in der maroden Infrastruktur der Zuckerindustrie. Von ehemals 156 Zuckerfabriken sind heute nur noch 13 in Betrieb, davon lediglich sechs zur eigentlichen Zuckerproduktion. Der Rest produziert lediglich Melasse – aber auch das nur eingeschränkt. Als Folge wird das wenige verfügbare Nebenprodukt vorrangig zur Herstellung von minderwertigerem Branntwein genutzt, um die Grundversorgung im Inland sicherzustellen. Bezeichnend ist die Lage in der Provinz Granma, wo das Desaster besonders deutlich wird: Von den geplanten über 19.000 Tonnen Zucker konnten lediglich gut 5.200 Tonnen produziert werden – ein Erfüllungsgrad von lediglich 26 Prozent. Schuld daran seien Treibstoffmangel, technische Defekte und Ernteausfälle durch Unkrautbefall sowie Brände auf den Feldern. Hinzu kommen strukturelle Probleme wie die ausbleibende Bezahlung von Arbeitern, was wiederum zur Demotivation und Abwanderung beiträgt. Ein anderer Teil der Insel versucht zumindest symbolische Erfolge zu vermelden: In der Provinz Sancti Spíritus konnte die dortige Zuckerfabrik Melanio Hernández den Plan für die aktuelle Ernte erfüllen – ein Einzelfall, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, wie tiefgreifend die strukturelle Krise ist. Dass die Zahlen der Ernte 2024 noch immer nicht veröffentlicht wurden, wirft zusätzliche Fragen auf. Schon im Vorjahr hielt die Regierung die Statistik monatelang unter Verschluss, bis der ehemalige Wirtschaftsminister José Luis Rodríguez schließlich zugab: Nur 160.000 Tonnen Zucker wurden 2023–2024 geerntet – weniger als die Hälfte der ohnehin schon desaströsen Vorjahresernte von 350.000 Tonnen. Für die ausländischen Rumunternehmen wird die Situation zur Zerreißprobe. Besonders Pernod Ricard, das bereits 1993 eine exklusive Vereinbarung mit dem staatlichen Unternehmen Cuba Ron Corporation unterzeichnete, hatte große Hoffnungen in die Insel gesetzt. Dank massiver Investitionen stieg der Absatz von Havana Club von 300.000 auf über vier Millionen Kisten jährlich. Auch andere Akteure wie Diageo und LVMH setzten mit Marken wie Ron Santiago und Eminente auf die Aura kubanischer Exklusivität – nicht selten unter schwierigen Bedingungen, wie marode Lagerhäuser und improvisierte Produktionsstätten zeigen. Die Hoffnung, dass sich Qualität und Authentizität auch unter widrigen Umständen durchsetzen, scheint nun an ihre Grenzen zu stoßen. Besonders betroffen sind Premiumprodukte, für die langgereifte Rumreserven aufgebraucht werden. In Zeiten leerer Fässer, undichter Dächer und bröckelnder Infrastruktur ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Exportware nicht mehr den hohen Standards genügt – oder überhaupt nicht mehr produziert werden kann. Diese Entwicklung ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein kulturelles Drama. Rum ist fest mit der nationalen Identität Kubas verbunden – er gehört zum Alltag, zur Geschichte, zur Musik. In Ernest Hemingways „El Floridita“ in Havanna war der Daiquiri genauso Teil des Inventars wie die Schreibmaschine des Autors selbst. Heute jedoch, so The Guardian, hätte Hemingway wohl keinen Mojito mehr bekommen. Was bleibt, ist ein Sinnbild für den Niedergang eines Landes, das einst auf seine natürlichen Ressourcen bauen konnte. Zucker, Rum und Tabak waren die Trias des kubanischen Exports – jetzt bricht ein weiteres Standbein weg. Während ausländische Unternehmen versuchen, ihre Investitionen zu retten, droht die Insel selbst, ihre letzten funktionierenden Exportsäulen einzubüßen. Ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Die strukturelle Überalterung der Zuckerindustrie, gepaart mit einem Mangel an Ressourcen, politischer Steuerungsprobleme und wirtschaftlicher Isolation, lassen kaum Raum für Optimismus. Selbst wenn sich die internationalen Partner weiter engagieren, können sie nicht gegen eine desolate Infrastruktur und rigide Vorschriften ankämpfen. Der einstige Glanz des kubanischen Rums – er verblasst mit jedem Tag, an dem die Melasse ausbleibt.
Quelle: The Guardian (https://t1p.de/nxs9r), Havanna Times (https://t1p.de/4flos)
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Text: Leon Latozke
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