Neues aus Kuba
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In Kuba kann die Suche nach profanen Gebrauchsgütern wie Toilettenpapier mehrstündiges Warten in einer Schlange vor einem Geschäft bedeuten. Um diese Wartezeit zu vermeiden, schließen sich viele auf der Insel WhatsApp- und Telegramm-Chatgruppen an, die sie darauf aufmerksam machen, wo sie Produkte finden - oder jemanden, bei dem sie Benötigtes eintauschen können.
Schlange vor einem Lebensmittelladen in Havanna. (Bildquelle: The Star © dpa/Guillermo Nova)
"Weiß jemand, wo Joghurt erhältlich ist?", fragt eine Frau eine Chatgruppe. Im Moment kann niemand helfen - aber jemand hat in einem Geschäft in Havanna Zement und Fliesen entdeckt. "Aber beeilt euch, die Schlange draußen ist schon sehr lang."
"Wer möchte Toilettenpapier gegen Shampoo tauschen?", fragt jemand anderes. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie ist der chronische Mangel in Kuba schlimmer denn je. In den Geschäften fehlen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs. Und wenn dann doch eine Lieferung eintrifft, bildet sich umgehend eine lange Schlange vor dem Geschäft. Anstehen und Warten gehört in Kuba zum Alltag, heute mehr denn je. Doch da immer mehr Menschen Zugang zum Internet erhalten, spielen beim Einkaufen auf der Insel digitale Dienste eine immer wichtigere Rolle. So tritt man in Kuba Chatgruppen über Messaging-Apps wie WhatsApp oder Telegram bei, um herauszufinden, wo welche Waren erhältlich sind, Tauschgeschäfte zu organisieren oder den Verkauf von Artikeln anzubieten. "Morgen wird es im Danubio-Laden Reinigungsmittel geben, die Leute stehen schon Schlange", schrieb eine Frau in einer Telegrammgruppe namens Donde hay? (dt. Wo gibt's das?), die mehr als 7.800 Mitglieder zählt. Seit Ende 2018 gibt es in Kuba mobiles Internet, und mehr als vier Millionen Kubaner haben nach offiziellen Angaben inzwischen Zugang. Das Surfen im Internet ist jedoch teuer, die Tarife liegen zwischen 5 US-Dollar für 400 MB und 20 US-Dollar für 2,5 GB. Der Durchschnittslohn in Kuba beträgt nur 35 US-Dollar pro Monat. Nichtsdestotrotz werden Chatgruppen wie Mercadillo Habanero (dt. kleiner Markt von Havanna) oder Lo que quieran (dt. Was ihr wollt) bei Kubanern und Ausländern gleichermaßen immer beliebter. Vor allem helfen solche Gruppen, Zeit zu sparen. Die Menschen stehen oft stundenlang vor den Geschäften Schlange, nur um dann im Laden zu erfahren, dass die Ware, auf die sie warten, ausverkauft ist. Dank der Messenger-App-Dienste können sie ihre Besorgungen effizienter organisieren. "Ich suche ein Kilo Kaffee. Ich tausche es gegen fünf Liter Milch", schreibt eine Person in einer Chatgruppe. "Ich brauche Müllsäcke - tausche sie gegen Bier", schreibt ein anderer Benutzer. "Wir sind zu der ursprünglichen Form des Handels zurückgekehrt", sagt Claudia Santander, die mehrere Chatgruppen leitet. "Die Benutzer sagen, was sie suchen und was sie anbieten können, und dann verhandeln sie die Transaktion - ohne dass Geld im Spiel ist", erklärt sie. Zunächst tauschte Santander mit ihren Freundinnen nur Informationen darüber aus, wo man Artikel kaufen kann. Dann gründete sie fünf Chatgruppen mit jeweils 240 Mitgliedern. Tauschhandel ist in Kuba nicht mit Corona erstmals aufgekommen. Viele Kubaner erinnern sich noch an die sogenannte Sonderperiode der 1990er Jahre. Schon damals war für viele der Tausch gegen andere Güter oft die einzige Möglichkeit, an dringend Benötigtes zu gelangen. Die Coronavirus-Pandemie hat Kuba schwer getroffen und den Tourismus - nach der Entsendung von Ärzten und Krankenschwestern ins Ausland die zweitwichtigste Devisenquelle - völlig zum Erliegen gebracht. Das bedeutet, dass die Regierung in Havanna weniger finanzielle Mittel hat, um Waren zu importieren. Die Verschärfung der US-Sanktionen und die Wirtschaftskrise im verbündeten Venezuela haben die Situation noch verschlimmert. Doch einige finden in der daraus resultierenden Verknappung Geschäftsmöglichkeiten. Staatlich subventionierte Produkte verschwinden aus den Läden und tauchen dann für das Doppelte oder Dreifache des Preises auf dem Schwarzmarkt wieder auf. "Die Behörden warnten mich vor illegalen Aktivitäten und dass die Herkunft der Waren unklar sei und die Preise übermäßig hoch seien", schreibt der Verwalter einer Chatgruppe auf Telegram. "Sie rieten mir, die Gruppe zu schließen, aber am Ende haben sie mich nicht dazu gezwungen". Und so sind Mitglieder der Gruppe immer noch damit beschäftigt, Tauschgeschäfte zu tätigen, bei denen Windeln gegen Zwiebeln, Spülmittel gegen Kaffee und Milch gegen Schrauben getauscht werden.
Quelle: The Star (https://t1p.de/07st)
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Text: Leon Latozke
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