Kuba fasziniert durch seine Widersprüche: revolutionärer Pathos trifft auf wirtschaftliche Not, sozialistische Ideale auf touristische Realität. Alltag und Mangelwirtschaft prägen das Leben der Menschen, während Touristen oft nur die Kulisse erleben. Zwischen Personenkult, Schwarzmarkt und Lebensfreude entsteht ein vielschichtiges Bild eines Landes im Spannungsfeld von Vergangenheit und Gegenwart – herausfordernd, berührend und voller Kontraste. Wer genau hinsieht, erkennt eine Realität jenseits des Karibikklischees.
Zwischen Revolution und Realität – Eindrücke eines zerrissenen Inselstaats
Kuba gilt seit Jahrzehnten als Projektionsfläche widersprüchlicher Vorstellungen. Für die einen ist die Karibikinsel ein sozialistisches Experiment mit kostenlosem Bildungs- und Gesundheitssystem, für andere ein wirtschaftlich gescheitertes Land, das sich nur durch staatlich gelenkten Tourismus über Wasser hält. Ein differenzierter Einblick vermittelt das Leben auf Kuba – geprägt von politischen Widersprüchen, wirtschaftlichen Krisen und einem Tourismus, der zum Überleben notwendig geworden ist.
Wer Kuba im Hochsommer besucht, betritt einen klimatischen Ausnahmezustand. Die Temperaturen steigen nicht nur gefühlt in den unerträglichen Bereich, sondern machen den Alltag selbst für hitzeresistente Reisende zur Herausforderung. Vor allem in den Städten lässt der Schweiß kaum Pausen zu – eine Realität, die selbst mit karibischer Romantik nur schwer zu überdecken ist. Erträglicher wird es an den Stränden: Varadero, mit seinem türkisblauen Meer und puderfeinem Sand, erscheint als Postkartenidyll. Doch der Eindruck trügt. Auch hier offenbart sich, dass der scheinbar mühelos inszenierte „Karibiktraum“ nur eine Seite des kubanischen Alltags ist – und oft exklusiv für zahlende Gäste gedacht ist.
Sozialismus mit zwei Währungen – und zwei Wahrheiten
Auch wenn die 2021 vollzogene Währungsreform das offizielle Ende des „Peso Convertible“ (CUC) markierte, wirkt dessen Schatten noch lange nach. Es herrscht die absurde Realität eines Systems, in dem es faktisch zwei Klassen gibt: Einheimische mit CUP und Touristen mit Zugang zu Devisen – und damit zu besseren Waren und Dienstleistungen. Besonders drastisch zeigt sich dies in alltäglichen Situationen: Während Kubaner stundenlang für ein Eis anstehen, wird zahlungskräftigen Ausländern ein direkter Zugang gewährt – gegen „sehr viel mehr“ Geld. Eine augenöffnende Szene, die den Mythos des egalitären Kuba ins Wanken bringt
Trotz aller Widersprüche und ökonomischer Dysfunktionalität bleibt der Personenkult um Fidel Castro und Che Guevara allgegenwärtig. Ihr Konterfei prangt auf Mauern, Plakaten und T-Shirts – auch Jahrzehnte nach ihrem Tod. Der Slogan „Yo soy Fidel“ erscheint wie eine trotzige Verneinung der sozialen Wirklichkeit. Auch wenn viele Kubaner die Systemmängel erkennen, bleibt der revolutionäre Pathos eine zentrale kulturelle Identität. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich um aufrichtige Verehrung oder resignative Folklore handelt
Tourismus als einziger Ausweg
Was früher als Bildungsnation galt, in der Ärzte und Lehrer weltweit gefragt waren, ist heute ein Land, das seine klügsten Köpfe in den informellen Tourismussektor drängt. Mit staatlich lizenzierten Privatunterkünften (Casas Particulares) lassen sich binnen weniger Nächte Einnahmen erzielen, die ein Lehrer in einem Monat nicht verdient. Ein ausgebildeter Ingenieur als Taxifahrer oder ein Historiker als Tourguide sind keine Ausnahme, sondern Regelfall. So bitter diese Realität auch ist – sie ist ökonomisch rational und notwendig. Die Revolution hat ihren Glanz verloren, der Tourismus bietet die letzten funktionierenden Einkommensquellen.
Doch der Preis ist hoch. In nahezu allen Lebensbereichen wird der Tourist zur wandelnden Geldquelle – oft mit deutlich überzogenen Preisen. Während Einheimische mit durchschnittlich 20 Euro Monatslohn leben müssen, verlangt der Staat von Besuchern Eintrittsgelder in Höhe eines Lehrergehalts – etwa beim Besuch eines Friedhofs. Die Preispolitik wirkt oft willkürlich und ausbeuterisch. Dass ein Großteil dieser Einnahmen nicht bei der Bevölkerung, sondern beim Staat verbleibt, verstärkt das Gefühl von Ungleichheit
Mangelwirtschaft und Alltagsimprovisation
Die wirtschaftliche Lage des Landes ist geprägt von Versorgungsengpässen. Supermärkte, die als „relativ gut gefüllt“ gelten, bieten oft nur eine begrenzte Auswahl an Grundnahrungsmitteln. Wasser ist schwer zu finden, während Rum im Überfluss vorhanden ist – und meist günstiger als Softdrinks. Diese Schieflage zeigt sich auch in der Alltagsökonomie: In vielen Haushalten wird improvisiert, Schlangestehen gehört zum Alltag. Wer kocht, tut dies nicht mit dem Repertoire eines modernen Haushalts, sondern mit dem, was sich überhaupt auftreiben lässt.
Dass sich unter diesen Bedingungen Schwarzmarktstrukturen und „kreative Buchführung“ entwickelt haben, erscheint fast folgerichtig. Casa-Betreiber umgehen staatliche Vorgaben, um wenigstens einen Teil des selbst erwirtschafteten Einkommens zu behalten. Tabakbauern liefern 90 % ihrer Ernte an den Staat ab, Taxifahrer zahlen Fixgebühren unabhängig von Saisonalität. Der staatliche Zugriff ist allgegenwärtig, die Reaktionen darauf reichen von stiller Resignation bis zur gezielten Umgehung.
Die Illusion der Gleichheit
Offiziell propagiert Kuba seit Jahrzehnten soziale Gleichheit. In der Praxis aber zeigt sich ein anderes Bild. Zwar ist der Zugang zur Universität formal für alle offen, faktisch können sich nur jene das Studium leisten, die über die nötigen Mittel verfügen – etwa für Bücher oder Fahrtkosten. Auch andere Errungenschaften der Revolution, wie die Aufhebung der Rassentrennung oder die flächendeckende Alphabetisierung, sind historisch bedeutsam. Doch sie stehen heute im Schatten einer Realität, die von staatlicher Kontrolle, wirtschaftlicher Not und einer fehlenden individuellen Perspektive geprägt ist.
Die Fassade bröckelt. Die Altbauten Havannas, Trinidads oder Cienfuegos erzählen von einer Zeit, in der Kuba architektonisch und kulturell eine Führungsrolle in der Karibik einnahm. Heute sind sie Symbole eines Niedergangs, der nicht nur materiell, sondern auch ideologisch spürbar ist.
Die Kraft der Menschen
Trotz aller Widrigkeiten bleibt das Bild, das viele Reisende von Kuba mitnehmen, auch von positiven Eindrücken geprägt. Die Herzlichkeit und Lebensfreude der Bevölkerung, besonders abseits touristischer Zentren, hinterlässt Eindruck. Musik erklingt auf den Straßen, Menschen tanzen, singen und suchen das Gespräch. Vor allem in den nicht gentrifizierten Vierteln Havannas begegnen Besucher einer Authentizität, die nicht auf Konsum, sondern auf zwischenmenschlicher Neugier basiert. Auffällig oft erzählen Kubaner dabei von Verwandten in Deutschland – ein Hinweis auf weitreichende Migrationserfahrungen und den Wunsch nach internationalem Austausch.
Diese menschliche Seite Kubas ist es, die vielen Reisenden in Erinnerung bleibt – und die ein Land zeigt, das trotz wirtschaftlicher Enge und politischer Erstarrung nicht seinen Geist verloren hat. Kuba lehrt Demut. Und zeigt, dass selbst dort, wo Systeme versagen, Menschen Würde, Freundlichkeit und Kreativität bewahren können
Fazit
Kuba ist kein Land für einfache Antworten. Es fasziniert durch seine Widersprüche, seine Geschichte und seine Menschen. Die Revolution, einst Hoffnungsträger einer gerechten Gesellschaft, wirkt heute wie ein museales Relikt – überhöht in Symbolen, aber ausgehöhlt in der Praxis. Der Tourismus hält das System am Leben, ohne es zu reformieren. Und die Bevölkerung lebt in einer Mischung aus Stolz, Frustration und Improvisationskunst.
Wer Kuba besucht, sollte nicht nur mit dem Wunsch nach Strand und Salsa reisen, sondern auch mit der Bereitschaft, hinter die Kulissen zu blicken. Was dort zu sehen ist, ist nicht immer angenehm – aber erhellend. Und wer genauer hinsieht, erkennt vielleicht, warum Kuba trotz allem seinen besonderen Reiz behält. Nicht wegen, sondern trotz seiner Verhältnisse.